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Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri *2000;81: Nr 13
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Editores Medicorum Helveticorum
Wie oft haben wir die Situation nicht schon erlebt:
Voller Wissensdurst haben wir uns Zeit genommen
und sind auf einen der nächsten Kongresse gereist,
um dort neue Anregungen für den Klinikalltag zu er-
halten, das alte Wissen aufzufrischen oder uns mit
dem neuesten Standard zu konfrontieren. Die Themen
waren interessant, die Namen der zu erwartenden
Redner vielversprechend. Und wie oft sind wir von
dannen gereist mit der Feststellung, dass wir nun
nicht mehr wussten als das, was wir vorher schon ge-
wusst hatten. Wenigstens konnten wir uns einmal
mehr mit unseren ehemaligen Kollegen treffen, über
das Leben sprechen und uns über die neuesten Ab-
rechnungsmodalitäten austauschen ­ ein durchaus
nicht zu verachtender Aspekt.
Wir wurden nun bombardiert mit unzähligen
Dias, die mit Zahlen, Texten und Tabellen zugepfla-
stert waren, von denen jedes einzelne, wollte man
dessen Inhalt wirklich nur verstehen und nicht auch
noch verinnerlichen, bereits einige Minuten Auf-
merksamkeit in Anspruch nehmen würde. Leider
wurde uns nur ein ca. 30 Sekunden dauernder Blick
gewährt, so dass wir eher abgelenkt als bereichert
auch der Rede des Vortragenden nicht mehr folgen
konnten ­ von der Lesbarkeit des Gezeigten ganz zu
schweigen. Dazwischen reihten sich Darstellungen
von Fotos, eigentlich wäre das ja schön, aber schade,
dass das zu beachtende Detail gerade dem unschar-
fen Teil des Bildes entsprach. Nun, Schreibfehler auf
den Dias würden wir verzeihen, wenn man wenig-
stens den Redner verstanden hätte und wenn dieser
nicht ausschliesslich mit der Wand geredet hätte.
Ein Blick ins Publikum hätte doch schon genügt, dass
wir uns angesprochen gefühlt hätten. Wir spürten
die Reaktion der Zuhörer: Vor der Mittagspause stieg
der Lärmpegel meist deutlich an, da man mit seinem
Nachbarn Wichtigeres zu besprechen hatte. Nach
der Mittagspause machten die Teilnehmer gerne ein
Nickerchen oder verabschiedeten sich zu einer weite-
ren Tasse Kaffee in die Vorhalle. Eigentlich wollten
wir zwar lieber dann schlafen und Kaffee trinken,
wenn wir das wirklich wollten und nicht, wenn uns
die Qualität eines Vortrages dazu zwingt.
Nach den Vorträgen hören wir Aussagen wie «ich
hatte keine Zeit für die Vorbereitung» oder «mir ist
das Alles nicht so wichtig». Glauben Sie wirklich, dass
ein Mensch, der monatelang an den Ergebnissen sei-
ner Veröffentlichung gearbeitet hat, plötzlich keine
Zeit hat, diese Ergebnisse in eine vernünftige Dar-
stellungsform zu bringen? Wie wenig Respekt hat ein
solcher Redner vor seinem Publikum! Stellen Sie sich
in einem Konzert den Solisten vor, der Ihnen vor der
Aufführung sagt, er habe keine Zeit gehabt, seine Par-
titur durchzuarbeiten. ­ Undenkbar! Glauben Sie
wirklich, dass es einem Menschen «nicht wichtig» ist,
wie er ankommt? Kein Mensch nimmt seinen Mut zu-
sammen und präsentiert sich, um wirklich schlecht
ankommen zu wollen. Wir hinterlassen einen Ein-
druck, ob wir wollen oder nicht, und wir alle wollen,
dass dieser Eindruck möglichst gut sei.
Solange das Diskussionsklima nicht zu rauh ist,
haben wir bei einer Blamage nichts zu befürchten.
Fachdiskussionen beginnen gerne mit «mein lieber
Köbi, eine kleine Anmerkung zu Deiner wundervol-
len Präsentation» und enden mit «mein lieber Hans-
Ueli, ich danke Dir». Was aber, wenn ­ so wie bereits
begonnen ­ das Umfeld kompetitiver wird, wenn die
Angst um die berufliche Positionierung grösser wird
oder wenn wir uns womöglich auf dem internationa-
len Parkett behaupten müssen? Dann müssen wir
langsam anfangen, ehrlicher zu uns selbst zu sein,
und anfangen, an uns zu arbeiten.
Wie kommt es nun dazu, dass wir uns in dieser
Weise unseren Kolleginnen und Kollegen zumuten?
Und warum muten wir es uns selbst zu, zu merken,
dass wir zwar gehört, aber nicht verstanden werden?
Im Gegensatz zu anderen Hochschulstudiengän-
gen lernen wir im Verlauf des gesamten Medizinstu-
diums kaum, uns zu artikulieren. Während in ande-
ren Studiengängen frühzeitig gelernt wird zu präsen-
Coaching ­
eine Berufshilfe auch
für Ärzte?
B. Leuenberger
Coaching ­ eine Berufshilfe auch für Ärzte?
Korrespondenz:
Dr. med. Brigitte Leuenberger
Coaching
Bahnhofstrasse 94
CH-8001 Zürich
E-mail: Brigitte.Leuenberger@bluewin.ch

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tieren und zu kommunizieren, müssen wir uns genau-
genommen während des gesamten Medizinstudiums
kaum zu Wort melden. Es ist schon erstaunlich, dass
in einem Beruf, in dem die Sensibilität mit der Spra-
che umzugehen und in dem die Kommunikation
höchste Wichtigkeit besitzen, Kommunikation und
Präsentation nicht gelehrt werden. Eine gewisse Un-
beholfenheit und Unreflektiertheit auf diesem Gebiet
ist oftmals nicht zu überhören.
Nach dem Studium sollen wir dann plötzlich alles
können! Spätestens bei der Vorstellung unserer Pro-
motionsergebnisse werden wir auf das Parkett ge-
stossen und sollen von nun an präsentieren, dabei
können wir noch nicht einmal vernünftige Abstracts
verfassen. Wenn wir Glück haben, haben wir viel-
leicht einen Vorgesetzten, der sich der Sache annimmt
und den vorzutragenden Inhalt mit uns durchspricht.
Da im vollgepackten Klinikalltag kaum Zeit verbleibt,
kann dies ­ verständlicherweise ­ nur flüchtig ge-
schehen. Unser Chef muss ausserdem selbst dazu in
der Lage sein, unsere Fehler zu erkennen, um uns hel-
fen zu können. Zweifelsohne wünscht sich auch der
Chefarzt ­ einsam an der Spitze ­ manchmal eine kri-
tische Meinung bezüglich seines eigenen Auftretens
und seines Führungsstils. Woher soll er nun diese
Meinung bekommen? Und wer ist ehrlich genug, sie
ihm auch mitzuteilen?
Warum wollen wir uns bei unseren Unsicherhei-
ten nicht helfen lassen? Tief verwurzelt ist in unse-
rer Berufsgruppe die Angst vor dem Gesichtsverlust.
Wir leisten es uns kaum einmal vor unseren Kollegen
zuzugeben, dass wir etwas nicht können. So zeigt
sich der Arzt zumeist als «Alleskönner». Wir können
Patienten versorgen, Operationen durchführen, das
Auto reparieren, unser Geld selbst anlegen, uns um
Standespolitik kümmern, Computerprobleme lösen
und eben auch perfekt kommunizieren. Doch wie
Goethe schon sagte «In der Beschränkung zeigt sich
erst der Meister». Wenn wir ein wenig Zeit und Geld
in Dienstleistungen investieren würden, die uns in
Bereichen helfen, in denen wir nicht so bewandert
sind und in denen uns gewisse Beschränkungen auf-
erlegt sind, könnten wir ­ dauerhaft gesehen ­ viel
Zeit und Geld einsparen und uns um wichtigere Dinge
im Leben kümmern.
Coaching ist die Dienstleistung, die hilft, ver-
deckte Potentiale zu wecken und zu fördern. Bei an-
deren Berufsgruppen hat sich der Nutzen des Coach-
ings längst herumgesprochen. Bei Politikern, Mana-
gern und Personen in der Wirtschaft ist ein Leben
ohne Coaching fast nicht mehr denkbar. Sie alle las-
sen sich beraten, ihre Texte verbessern, ihre Auftritte
planen und ihren Führungsstil korrigieren ­ ohne sich
dafür schämen zu müssen ­ denn es gehört längst zur
Normalität.
Bei meiner Arbeit im Coaching für Ärzte begegne
ich im wesentlichen folgenden Typen:
1. Der Brillante: Er bringt seine Sache spannend und
wahrheitsgetreu vor. Wir hören ihm gerne zu und
wissen, dass er nicht zu den Schaumschlägern
gehört und keine Lügengeschichten erzählt. Er
berichtet über seine Erfolge genauso offen und
selbstsicher wie über seine Misserfolge. Dieser
Typus taucht selten, aber immer wieder auf; er ist
eigentlich nicht zu verbessern. Erstaunlicherweise
stellen wir fest, dass gerade dieser Typus für Kri-
tik offen ist und professionelle neutrale Meinun-
gen sucht, um sich, wenn möglich, weiter vor-
wärts zu bringen.
2. Der Schlaue: Er weiss, dass es Verbesserungen
und Erleichterungen geben kann, wenn man sich
darum bemüht und lässt sich deshalb (meistens
heimlich) bereits seit längerer Zeit beraten.
3. Der Aufgeschlossene: Er weiss, dass er noch ver-
besserungsfähig ist, er weiss aber nicht, wo und
von wem er sich helfen lassen kann.
4. Der Überhebliche: Er ist von sich selbst so ein-
genommen, dass er denkt, es gäbe an ihm nichts
zu verbessern. Ein weit verbreiteter Typus, dem
(leider) nicht geholfen werden kann, weil es ihm
an der nötigen Selbstkritik fehlt.
Coaching bedeutet, in Einzelgesprächen oder in
Gruppengesprächen weiterzukommen. Es hilft uns,
bei Präsentationen sicherer und besser aufzutreten.
Es hilft uns, in kritischen Situationen des Lebens un-
sere Karriere neu zu planen. Es hilft uns, uns im Team
besser zurechtzufinden. Es hilft uns, im Alltag kon-
zeptionelle Lösungen zu finden. Es hilft uns, unser
Führungsverhalten zu ändern. Kurz ­ Coaching für
Ärzte hilft Ärzten, zu versuchen unseren «Knopf im
Kopf» zu lösen, damit wir langfristig nicht nur gehört,
sondern auch verstanden werden, um so ein erfolg-
reiches Berufsleben führen zu können.
Coaching ­ eine Berufshilfe auch für Ärzte?