Erschienen am: 11.05.2002

Nach der Babypause den Weg zurück  ins Berufsleben finden


Irgendwann wird jede dritte von vier Familienfrauen zur «Wiedereinsteigerin»: Der Weg zurück ins  Berufsleben ist spannend, nicht immer einfach - und jede erlebt ihn  anders. 

Selber Wiedereinsteigerin. Brigitte Leuenberger, Mutter und  Coaching-Fachfrau aus Zürich. Foto zVg



Nach der Familienpause wieder in den Beruf einsteigen: Für viele Frauen ein wirtschaftliches Muss, für einige undenkbar, für die meisten aber, nämlich rund drei Viertel der Mütter, eine lockende Herausforderung. Doch  Wiedereinsteigerinnen haben es nicht ganz einfach. Ist die erste Frage - das Organisieren der Kinderbetreuung - geklärt, stellen sich neue. Die nächste: Wo  überhaupt anfangen?
So eben mal die Zeitung aufschlagen und sich auf ein Inserat hin bewerben, «so einfach ist es für die wenigsten Frauen, die nach  einer Pause wieder zurück ins Berufsleben möchten», sagt eine, die es wissen muss: Brigitte Leuenberger, einst auch eine Wiedereinsteigerin und heute selbstständige Coaching-Fachfrau. Die Berufe verändern sich zurzeit rasant und verlangen nach ständiger Weiterbildung. Gerade in den Branchen Technik,  Informatik und Wissenschaft ist es heutzutage schwierig, auch nach erst  zweijähriger Pause den Anschluss zu finden. Es sei denn, frau habe sich weitergebildet. Und selbst im «klassischen» kaufmännischen Bereich sei es «problematisch, nach vier Jahren den Anschluss zu finden», erklärt Jobvermittlerin Gabriela Zürcher von der Manpower AG, Liestal.

Fehlendes Selbstbewusstsein

Der Weg über Stellenanzeiger oder -vermittlung gehört sowieso nicht unbedingt zu den «first steps» von Wiedereinsteigerinnen. Denn ein weitaus grösserer Teil findet sich in  einer «Wolke»: Frau weiss nicht, was sie will. Und noch weniger, was sie kann.  «Die meisten Frauen können ihr Berufsziel gar nicht formulieren», sagt  Leuenberger. Ausserdem nehme bei den meisten Frauen das Selbstbewusstsein  während einer Berufspause rapide ab. Die Distanz gegenüber der ehemaligen  Tätigkeit werde bei manchen plötzlich so gross, «dass sie sich nichts mehr  zutrauen». Nicht selten finde man solche Frauen schliesslich in einem Job, in welchem sie sich zwar «sicher» fühlten, der sie jedoch weder interessiert noch  ihren Fähigkeiten entspreche. Auch Susanne Sengstag, Psychologin und Beraterin  bei professionnELLE, Liestal, der Kontaktstelle für Frau und Arbeit, kann diese  Beobachtung teilen: «Viele Frauen sind sich ihrer Fähigkeiten gar nicht bewusst.  Sie wissen nicht, was sie wert sind, es fehlt an Selbstwertgefühl.» Es gebe  Frauen, so Sengstag, die auf die Frage nach ihrem Können schlicht mit «nichts»  antworteten. Frage man nach, so kämen dann Antworten wie «Mittagstisch auf die  Beine gestellt» oder im «Gemeinderat tätig sein».

Es gibt ein breites  Hilfsangebot

Doch gerade für Wiedereinsteigerinnen ist es wichtig,  über die eigenen Qualitäten, Fähigkeiten und Berufswünsche im Bild zu sein. Um  dies herauszufinden, gibt es verschiedenste professionelle Hilfen: die  kantonalen Berufsberatungen einerseits, andererseits spezielle auf Frauen  ausgerichtete Kontaktstellen wie beispielsweise professionnElle in Liestal, WEFA  in Zürich und fraw in Bern, aktuelle Kurse wie CH-Q (Schweizerisches Qualifikationsprogramm zur Berufslaufbahn) sowie private Coaching-Beratungsstellen. Dort können sich Frauen die nötigen Infos und die nötige Literatur holen oder persönliche Beratungsgespräche führen. Und sich unverbindlich einen Überblick über die aktuelle Bildungs- und Arbeitssituation erarbeiten. Oft reiche auch ein einmaliges Beratungsgespräch, und «schon hätten die Frauen den nötigen Anfangskick für ihren weiteren Weg», wie Sengstag  erklärt. Andere brauchen mehrere Gespräche. «Die Frauen verspüren bei uns keinen Leistungsdruck», so Sengstag weiter. Dies werde geschätzt.

Eine ganz  neue Richtung wählen

Viele Wiedereinsteigerinnen wiederum sind auch auf der Suche nach etwas gänzlich Neuem. Familienpause bedeute auch einen Reifeprozess, und nicht selten «suchen sich die Frauen eine ganz neue Arbeit,  Aus- oder Weiterbildung», wie Ida Vischer, Leiterin Beratungs- und Informationszentrum BIZ, Liestal, weiss. Gerade die nicht mehr ganz jungen Wiedereinsteigerinnen knüpften weniger an den bisherigen Beruf an. Klarheit über die eigenen beruflichen Vorstellungen verschafft ganz gezielt beispielsweise auch das 16-wöchige Teilzeitprogramm von lavorELLE: Frauen, die den Weg zurück  ins Berufsleben planen, können Wissenslücken stopfen, ein Praktikum absolvieren  und ein Coaching in Anspruch nehmen. Erfolge werden aber auch sonst verbucht, denn der optimale Weg zurück ins Berufsleben existiert nicht. Das Wichtigste  sei, dass die Frauen ermutigt und unterstützt würden. Denn es gebe immer «tausend Möglichkeiten» für einen Wiedereinstieg. Für Frauen mit und für Frauen ohne Ausbildung.
Links:
http://www.professionnelle.ch (Kontaktstelle Frau + Arbeit)  oder http://www.berufsberatung.ch (Berufsberatungsstellen) oder http://www.w-a-b.ch (Weiterbildungs-Angebots-Börse)


Von Nicole Thommen-Gebauer



Frauen brauchen  «Rückenwind»


Stellefant: Frau Leuenberger, was ist die Aufgabe einer Coaching-Fachfrau?
Brigitte Leuenberger: Ich unterstütze und helfe Frauen, die nach längerem oder kürzerem Arbeitsunterbruch wieder ins Berufsleben einsteigen  wollen. Es geht nicht darum, einfach irgendeinen Job zu finden, sondern die Frauen von einer oft passiven in eine aktive Haltung zu führen. Erschwerend  kommt oft dazu, dass es diesen Frauen an Selbstvertrauen fehlt. Ich beobachte dies nicht nur bei Frauen, die zehn Jahre oder länger nicht mehr im Berufsleben gestanden haben; es gibt viele so genannte «Top-Frauen», die sich schon nach einem Jahr Berufspause nicht einmal ein qualifiziertes Telefongespräch mehr zutrauen. Solche Frauen zu unterstützen, ihre Fähigkeiten herauszuschälen, ihnen Mut zuzusprechen, ist eigentlich unsere Aufgabe. Ich denke, Frauen brauchen sehr  oft «speziellen Rückenwind».
Wo liegen - nebst mangelndem Selbstvertrauen - die grössten Probleme für  Wiedereinsteigerinnen?
Wenn einmal der Mut gefasst ist, sich ans Neue zu wagen, haben Wiedereinsteigerinnen erfahrungsgemäss sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wichtig ist, dass die Frauen die Anfangsprobleme meistern. Da gibt es zum Beispiel Ängste, den Anforderungen doch nicht gewachsen zu sein. Oder  Ängste, sich nicht ins Team einfügen zu können. Doch Wiedereinsteigerinnen müssen wissen, dass solche Anfangsängste eigentlich ganz normal sind. Falls nötig, sollen sie sich unbedingt auch während dieser Zeit professionelle Hilfe holen.
Wie führen Sie als Coaching-Fachfrau Wiedereinsteigerinnen zum Ziel?
Zunächst muss das Ziel überhaupt formuliert werden, was nicht  immer einfach ist. Ebenso wichtig ist es anschliessend, dass sich die Frauen  eine realistische Zeitlimite setzen. Sie sollen sich einerseits klar überlegen, wo sie sich in fünf Jahren sehen wollen, andererseits, wie viel Zeit sie in  Beruf und Weiterbildung investieren möchten. Ans Ziel gelangen eigentlich so ziemlich alle. Denn Wiedereinsteigerinnen sind meist überdurchschnittlich motiviert, haben einen grossen Wissensdurst und sind bereit, sich  weiterzubilden.  Interview ntg



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